Kurze Inhaltsbeschreibung

In dem 1862 erschienenen Roman "Die Elenden" von Victor Hugo dreht es sich im wesentlichen um den freigelassenen Gefängnisinsassen Jean Valjean, der wegen Mundraubes für seine Familie und mehrerer Fluchtversuche zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Auch nach seiner Freilassung wird er überall, wo er hinkommt, wie ein Aussätziger behandelt und wieder verstoßen. Gerade als er sich in seiner Meinung über die Bosheit der Menschen bestätigt sieht, wird er von einem bis zur Selbstaufgabe mildtätigen Bischof aufgenommen und versorgt. In der Nacht wird Jean Valjean jedoch rückfällig und bestiehlt seinen Wohltäter, welcher ihm aber auch das verzeiht.

Durch solche Güte gerührt ändert Jean Valjean sein Leben grundlegend. Er rettet daß Leben der Tochter eines Bürgermeisters und kann daher unter falschem Namen ein neues Leben beginnen. Er führt in seiner neuen Heimatstadt bessere Produktionsmethoden für die Glasherstellung ein und wird so zu einem sehr erfolgreichen – aber auch sehr humanen – Fabrikbesitzer.

Nun schweift Hugo von der Hauptgeschichte ab und erzählt die Geschichte der jungen Fantine, die von ihrer ersten Liebe enttäuscht und mit einem unehelichen Kind alleine zurückgelassen wird. Sie gibt das Kind bei vermeintlich guten Leuten in Pflege und arbeitet in Jean Valjeans Fabrik. Als herauskommt, daß sie ein uneheliches Kind hat, wird sie von einer Aufseherin entlassen. Da ihr das Kind aber alles bedeutet, opfert sie ihre gesamten Ersparnisse, verkauft ihre Haare, Zähne und später sogar sich selbst um die Forderungen der betrügerischen Pflegeeltern zu begleichen. Jean Valjean lernt sie zufällig kennen, als sie schwer krank wegen einer Kleinigkeit verhaftet wird. Er ist von ihr und ihrer Opferbereitschaft angetan und versucht alles möglich um sie zu retten und ihrer Tochter zu Fantine zu holen.

Wie das Schicksal aber will, erfährt er auf der Polizeistation, die sein Widersacher, der Polizist Javet, führt, daß ein Mann verhaftet wurde, der für ihn gehalten wird und dem wegen Rückfalls (Jean Valjean hatte kurz vor seiner Bekehrung einem Spieljungen eine Münze gestohlen) lebenslange Haft droht. Von riesigen Seelennöten getrieben, gibt er sich zu erkennen und wird trotz seiner großen Verdienste erneut verurteilt.

Nach einer gewagten Flucht "befreit" er mittels seines zuvor versteckten Vermögens Fantines Tochter Cosette aus der Sklaverei ihrer Pflegeeltern und versteckt sich mit ihr in einem Kloster. Cosette, welche er als seine Tochter ausgibt, verliebt sich nach dem Verlassen des Klosters zum Mißfallen ihres "Vaters" in einen Jungen aus gutbürgerlichem Haus.

Bei einer der vielen kleineren Rebellionen im Paris des frühen 19. Jahrhunderts bewahrt Jean Valjean seinen größten Widersacher Javet vor der Exekution durch die Aufständigen. Javet ist der extrem gesetzestreue Polizist, der für die zweite Verhaftung Jean's verantwortlich ist. In Javets Augen sind Freigelassene immer noch Verbrecher – ob sie nun Gutes oder Böses tun - und gehören hinter Gitter.

Trotz der berechtigten Angst Cosette an ihren Geliebten zu verlieren, rettet Jean Valjean diesem  das Leben, als er an der eben angesprochenen Rebellion teilnimmt. Nachdem Jean Valjean ihn ohnmächtig durch die Pariser Kanalisation geschleppt hat, erwartet ihn am anderen Ende Javet.

Diese erneute Begegnung läßt Javets ganzes Moralgerüst zusammenstürzen. Er läßt – wider jedes Gesetz und seiner bisher gelebte Überzeugung – Jean Valjean frei und begeht anschließend, da er mit diesem - seinem eigenen - Gesetzesverstoß nicht leben kann, Selbstmord.

Cosette heiratet ihren Geliebten und erhält das restliche Vermögen Jean Valjeans als Mitgift. Als Jean Valjean seinem Schwiegersohn gesteht, daß er ein Freigelassener ist, distanziert sich dieser deutlich von ihm und treibt erfolgreich einen Keil zwischen Vater und Tochter. Jean Valjean ist von dieser Trennung so schmerzhaft berührt, daß seine einst ungeheuren Kräfte schwinden bis er nur noch dahinsiecht. Nach einigen Monaten erfährt sein Schwiegersohn – ausgerechnet von den ehemaligen Pflegeeltern seiner jungen Frau – von der wahren Identität Jean Valjeans als Wohltäter und seinem Lebensretter. Als er – um seine Schuld zu sühnen – zu Jean Valjean stürzt, liegt dieser im Sterben.


Kritik

Der Epos "Die Elenden" von Victor Hugo erzählt packend die tragische Lebensgeschichte Jean Valjeans. An verschiedenen Stellen zweigt der Roman ab um die Geschichte anderer Beteiligter offenzulegen. Im Verlauf entstehen die verschiedensten moralischen Verwicklungen, die nie zur Zufriedenheit aller aufgelöst werden können.

Insgesamt gesehen ist "Die Elenden" ein hervorragend geschriebener, stilistisch und erzählerisch einwandfreier Roman, welcher ausführlich und ohne Verschleierung die unteren Gesellschaftsschichten Frankreichs im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts beschreibt. In nahezu genialer Weise werden die Vorurteile und Tabus der Gesellschaft, moralische Bindungen und Fesseln, persönliche Konflikte und Verwicklungen dargestellt.

Auffallend ist bei Hugo, daß in dem gesamten Buch (wie auch schon in "Der Glöckner von Notre Dame") nur eine Person wirklich glücklich wird ohne andere dabei in Unglück zu stürzen: ein einfacher Mann, dem Jean Valjean das Leben rettete und der sich - auf Jean Valjeans Empfehlung hin – in dem Kloster als Gärtner verdingt, in das Jean Valjean sich später flüchtet.

Schwierig zu lesen sind die langatmigen eingeschobenen "Unterrichtslektionen", welche zwar viel geschichtliches und soziologisches Wissen vermitteln, aber die eigentliche Handlung nur tangieren. So wird z.B. über fast 100 Seiten die Geschichte, der Ursprung und der Zweck der Pariser Kanalisation erläutert, nur weil Jean Valjean seinen künftigen Schwiegersohn durch diese schleppt. An anderer Stelle wird ebenso ausführlich die Schlacht von Waterloo geschildert. Diese Einschübe sind zwar stellenweise interessant, können aber ungeduldige Leser schnell das Buch zur Seite legen lassen.

Ich persönlich würde trotz diesem kleinen Manko jedem bedingungslos diesen Epos empfehlen, welcher nicht zu Unrecht zur Weltliteratur gehört.

Thomas Franz